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Ein Text von Silvie Aigner

Aspekte der Malerei zwischen Landschaftswirklichkeit, persönlicher Wahrnehmung und der Sinnlichkeit der Farbe

Ausgangspunkt der in der Ausstellung „Over the Rainbow“ gezeigten Werke ist die Natur und die Vielfalt der Landschaft, in die der Mensch eingebunden ist. Gesehenes, Stimmungen, Lichteinfälle, eine in voller Blüte stehende Pflanze bilden archetypische Motive und die inhaltliche Klammer der Ausstellung. Diese vereint internationale Künstlerinnen und Künstler aus Frankreich, Südafrika, Island und Österreich, deren Werke zum Großteil in Österreich bisher noch nicht gezeigt wurden. Der Fokus liegt auf der Malerei, das wie kein anderes Medium geeignet ist, die poetisch, lyrischen Aspekte der Wirklichkeit einzufangen. Doch wie verhält sich dieser Dialog, wenn sich die Malerei thematisch auf die Natur bezieht, wenn sie Elemente aus ihrer Formenwelt verwendet oder ihnen nachzuspüren versucht? Bildet sie Natur ab oder versucht der Künstler, die Künstlerin mittels ihrer jeweils individuellen Formensprache die Essenz der Natur in die Farben der Malerei zu übersetzen – sie zu interpretieren und vor allem auch einen inhaltlichen Fokus zu setzen? Die Bilder der Ausstellung zeigen die verschiedenen Möglichkeiten – vom Ausloten der formalen Möglichkeiten der Malerei bis hin zu Setzung thematischer Schwerpunkte, die zugleich auch das Assoziationsfeld der Betrachter erweitern.

„Das Leben ist ein Gefangener seiner Darstellung“, diese würde nichts von der „wahren Wahrheit“ preisgeben. „Dabei ist das Leben prallvoll, ungeduldig, es möchte aus dem Viereck ausbrechen.“, schrieb der italienische Schriftsteller Antonio Tabucchi treffend in seinem Roman „Es wird immer später“. Wahrnehmungen von Dingen, Situationen, Sinneseindrücken, die plötzlich auftauchen und auf nichts als sich selbst verweisen, geben dem Betrachter zuweilen die Ahnung, auf das Wesentliche des Lebens gestoßen zu sein, auf seine elementare Essenz. Die Herausforderung, diese Ahnungen in das Bild zu übersetzen, ist seit jeher Teil des künstlerischen Schaffensprozesses.

Nur wie entspricht man einer elementaren Erfahrung in der Malerei?

Die Bilder zeigen die Motive jenseits eines literarischen oder dokumentarischen Blickwinkels, vielmehr übersetzen sie diese in ein naturalistisch-malerisches Formenrepertoire, in der die immanenten Parameter des Mediums eindeutig im Vordergrund stehen. Das Motiv wird zum Ausgangspunkt malerischer Prozesse. Die Wahrnehmung der Natur und des Lebens erfolgt vor und parallel zur Formgebung im Kunstwerk, ohne jedoch in eine banale oder gar romantische Beschreibung zu verfallen. Der Dialog des Narrativen und der Sinnlichkeit der Farbmaterie stehen dabei stets in einem spannungsvollen Dialog. Ob die Natur und Kunst in einem Widerspruch stehen, versuchte die Malerei seit jeher zu beantworten. „Warum“, fragte Umberto Eco in „Das offenen Kunstwerk“, (1977), soll man sich überhaupt noch mit dem Bild beschäftigen, das doch viel ärmer ist als der reale Sand, als die Unendlichkeit der natürlichen Materie, die uns zur Verfügung steht?“ Doch so Eco weiter, sei es die Kunst, die jene rohe Materie der Natur zu organisieren vermag und damit erst ein Bewusstsein und eine Sensibilität schaffen würde, für jene Bereiche, die sich der Schnelligkeit  unserer alltäglichen Wahrnehmung entziehen. Die Kunst hat im besonderen Maße dabei die Möglichkeit, ein Begreifen des nicht Beschreibbaren, beziehungsweise die Ahnungen von den inneren Zusammenhänge des Lebens, sinnlich und visuell darzustellen. So gesehen ist die Malerei an einer besonderen Schnittstelle angesiedelt und wird zur Sehhilfe für die vielen – positiven wie negativen – Aspekte der Wirklichkeit.

Der Titel der Ausstellung zitiert eines der bekanntesten Lieder „Over the Rainbow“, das 1939 von Harold Arlen mit einem Text von E.Y.Harburg für das US-amerikanische Filmmusical „Der Zauberer von Oz“ geschrieben wurde, mit Judy Garland in der Hauptrolle der Dorothy, die durch die fantastische Welt von Oz reist, nur um zu erkennen, dass es zu Hause am Schönsten ist. Der Mensch malte sich früh seine Fantasien von fernen Ländern aus und erdachte sich Wunschlandschaften. Die Entdeckung dieser Länder war und ist eine sensible Balance zwischen vereinnahmender Inbesitznahme und einer aufmerksamen, achtsamen Herangehensweise. In der populären Interpretation des Musikers Israel Kamakawiwo'ole wird „Over the Rainbow“ auch ein Appell für die Bewahrung der ursprünglichen Landschaft und Kultur Hawaiis. In der Folge sollte das Lied zur ersten Hymne der queeren Bewegung werden. Mit Louis Armstrongs „What a wonderful world“ ist der Song jedoch bis heute auch Symbol für die Schönheit unserer Welt und ein Aufruf uns diese bewusst zu machen. Beide Songs wurden am Vorabend großer politischer Umwälzungen veröffentlicht: „Over the Rainbow“, 1939, „What a wonderful world“ 1968 – wohl nicht zufällig.

Die Kunst kann entscheidend dazu beitragen uns die Brisanz der Themen unserer Gegenwart bewusst zu machen – Klimawandel, Migration, Verlust der Artenvielfalt, Verlust der Heimat wie dies etwa in den Bildern jener Künstler und Künstlerinnen der Ausstellung zum Ausdruck kommt, die heute in der afrikanischen Diaspora leben. Die Malerei steht dabei stets im Spannungsfeld die politischen und gesellschaftlichen Sujets der Gegenwart aufzugreifen oder die malerischer Selbstreferenzialität in den Vordergrund zu stellen. Die Übersetzung der Wahrnehmung der Realität in das Medium der Malerei ermöglicht auch eine gewisse Distanz, um die Komplexität des Gesehenen zu erfassen und zu reflektieren. Ist es heute noch möglich, so wie der Soziologe Georg Simmel in seiner 1922 posthum erschienenen Aufsatzsammlung „Philosophie der Kunst“, postulierte, dass das Kunstwerk ein Ganzes für sich ist und keiner Beziehung zu einer äußeren Welt bedarf. Doch wie verhält sich dies nun mit den scheinbar gegensätzlichen Ansprüchen des Künstlers? Interessanterweise ist in der gegenwärtigen Malerei diese Fragestellung Teil einer medienimmanenten Auseinandersetzung gerade auch um die Autonomie der Malerei zu betonen oder von ihrer eigenen Natur zu sprechen, unabhängig ob es sich um figurative Malerei oder um  eine rein abstrakte Bildauffassung handelt, wobei diese Unterscheidung für viele Künstler als obsolet gilt. So stehen auch die Werke der Ausstellung im Spannungsfeld zwischen einer sich annähernden Landschaftswirklichkeit, einer Auseinandersetzung mit der eigenen Biografie und der Wahrnehmung politischer und gesellschaftlicher Realitäten sowie einer rein autonom malerischen Bildkonzeption, in der auf der Leinwand die Natur als reine Formbeziehungen dargestellt ist.

2002  konfrontierte Heinrich Heil den Maler Markus Lüpertz mit dem Frage Nietzsches, wie weit die in das Innere der Welt reichen würde. Seine Antwort: Die Kunst ist das Innere der Welt, sie ist es in besonderer Weise, dass sie im Geheimnisvollen ihren Ursprung hat und von dort ihren Impuls empfängt. (...) Die Kunst macht uns die Welt überhaupt erst sichtbar und das ist das Verführerische an ihr und der springende  Punkt ihrer Präsenz und die Malerei ist einer der wenigen großartigen Pole, an denen sich das Begreifen des Lebens aufhält. Markus Lüpertz im Gespräch mit Heinrich Heil. (Der Kunst die Regeln geben, Zürich 2005).

KünstlerInnen:

  • Sanell Aggenbach (Südafrika)
  • Laurence Bonnel (Frankreich)
  • Gael Davrinche (Frankreich)
  • Olivier Masmonteil (Frankreich)
  • Martin Schnur (Österreich)
  • Aron Reyr Sverrisson (Island)
  • Ruby Swinney (Südafrika)
  • Duncan Wylie (Simbabwe)

Zu sehen:

01.08.2020 – 14.09.2020
Eintritt frei

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